Montag, 3. Dezember 2012

DB-037 16 (Stefan tastet sich langsam vor)

16

Stefan tastet sich langsam von der Schnellbahnstation Altglienicke bis zur Lilienstraße vor: Keine Leute mehr draußen, die wenigsten Gaslaternen brennen. Er hat nur Beates Beschreibung des Weges im Kopf.

Ein freies, kotiges Feld, eine leichte Steigung; dann die Straße hinunter, vorbei an den Einfamilienhäusern, hinter deren Fenstern elektrisch beleuchtete Weihnachtsbäume aufblinken, bis der Umriß von Ludwigs Trabant auftaucht, dahinter die Silbertanne samt Haus.

Julia hat diesmal ihre Haare zu einem dicken Zopf geflochten, schaut wie ein Schulmädchen aus. Stefan muß sofort den Wunsch unterdrücken, ihr Haar anzufassen.

Sie lädt ihn ein weiterzukommen. Ludwig sitze noch im Bad, um sich aufzuwärmen, weil er den ganzen Tag im Freien gearbeitet hat, sagt sie.

In der Küche drückt Julia Stefan ein Messer in die Hand. Er soll ihr das Brot schneiden, aber nicht zu dick. Er säbelt und bemüht sich um äußerst dünne Schnitten.

Jedes Mal, wenn ihn Julia mit ihrer braunen Schnürlsamthose streift, blickt er irritiert auf. Er wünscht sich, es wäre Absicht. Sie sollte absichtlich diese Reibung der Stoffe provozieren, die ihre Körper bedecken. Stefan hat schon Entwürfe für ein maßloses Gelächter zu zweit parat.

Julia kommt wieder, streift an und ist vorbei. Auf einmal färbt sich das Brotinnere rot: Stefan hat sich in den Daumen geschnitten, das dunkle Brot quillt, er hält den Daumen erstaunt in die Höhe, bis Julia begreift, was passiert ist. Schnell, sagt sie, das Tischtuch.

Stefan blickt noch immer interessiert auf seinen Daumen. Das Tischtuch, wiederholt Julia. Als Stefan nicht reagiert, beugt sie sich schnell vor, zieht seine Hand zu ihrem Mund und saugt zweimal kurz an der Wunde. Stefan glaubt dabei ihre Zunge zu spüren. Auf ihrem Mund ist sein Blut.

Während Stefan zum Abwaschbecken tritt, weist er sie darauf hin: Du bist blutig von meinem Blut. Julia mißt der Sache keine weitere Bedeutung bei und wischt sich mit dem Handrücken die Lippen ab.

Ihr Blick fällt auf seine Brote, die ihr zu dick erscheinen. Bevor Stefan überprüfen kann, ob sie ihn damit nur reizen will, merkt er, daß sein Blut noch immer nicht gestillt ist.

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