DB-044 (18) (Geräusche aus der Wohnung)
In der Küche rumort bereits Götz, vollständig angezogen und gut gelaunt. Seine hellblauen Augenschlitze könnten töten, fürchtet Stefan, würden sie all ihre morgendliche Energie auf einen Punkt konzentrieren.
Erst jetzt bemerkt er in dessen rechtem Auge einen deutlichen Blutfleck. Zugleich erkennt er in seinem rauhen Pullover, seiner einfachen, blauen Arbeiterhose das Absichtslos-Absichtliche: Mit dem ersten wachen Atemzug gesellt er sich jeden Tag zu den unzähligen Familienerhaltern, auf denen die ganze Verantwortung lastet.
Das begründet Götz gleich mit einer Kurzcharakteristik Beates, um dann wohlwollend festzustellen, sie habe sich schon deutlich gebessert, obwohl sie noch einiges lernen müsse.
Denn auch im Sozialismus seien Kochen, Putzen, Waschen und die Erziehung der Kinder die Domäne der Frau; aber davon habe sie noch immer keinen blassen Tau, müsse von ihm heruntergeholt werden aus ihrem Wissenschaftskuckucksheim - jedesmal wenn ihm die Doppelbelastung durch Beruf und Haushalt zu viel werde.
Stefan empfindet diese Einleitung als falsche Anbiederung und stellt fürs erste klar, daß er natürlich keineswegs so perfekt sei wie Götz: Typisch männlich sozialisiert, übersehe er jeden Dreck. Wie er das, forciert vom Sauberkeitsfanatismus seines Vaters, seit seiner Jugend gewohnt sei, habe er jahrelang geübt, sich auf seine innere Bühne zurückzuziehen, mit dem Vater als Krokodil und der Mutter als Kasperl - oder umgekehrt -, um den Dreck, die Unordnung nicht sehen zu müssen, die Ablagerungen der Seele, die nicht so einfach vom Tisch zu wischen seien.
Gebannt und laut atmend habe er zugesehen bei diesem unerquicklichen Drama, wie sich äußerer und innerer Dreck immer mehr verquickt hätten, äußere und innere Unordnung, wie daraus die heftigst abgewehrte Schuld gewachsen sei, wie er dann aus der Schuld geflüchtet sei - mit seinen mahnenden Eltern in sich - von einem Ort zum andern, immer ein Kuddelmuddel aus Dreck, Chaos und Unglück hinter sich herziehend.
Schließlich habe ich in einem ehemaligen Pferdestall gelebt, sagt Stefan, neben einem Studentinnenheim, unter der mehr oder minder strengen Aufsicht einer alten Hofrätin, die vorn im ersten Stock ihr Vergangenheitsmuseum eingerichtet gehabt hat, das ich nie betreten durfte.
Einmal im Monat, wenn ich nicht dagewesen bin, hat sie sich unter dem Vorwand, dort aufzuräumen, in dieses feuchte, dunkle Loch gewagt, überall herumgestierlt und immer etwas vorzeigen können, was gegen mich gesprochen hat: ein Reindl voller verschimmelter Nudeln, mit wochenalten Essensresten beklebtes Geschirr und Besteck, ein Knäuel Schmutzwäsche, unterm Bett hervorgeholt.
Ich habe dann immer eine Nachricht vorgefunden, wo mir meine Sünden minutiös aufgezählt worden sind. Danach bin ich jedesmal zur Vermieterin hinaufgepilgert, habe geklopft und ihr, nachdem sie die Tür nur einen Spalt aufgemacht hat, auf der Schwelle die endgültige Besserung versprochen. Aber die hat dann schließlich darin bestanden, daß ich nichts mehr gekocht und den Gasrechaud, der einmal beinahe explodiert wäre, einer meiner Freundinnen von nebenan geschenkt habe.
(Die Berliner Entscheidung, Residenz Verlag, 1984)