DB-009 (3) (Stefan hält die Gegenstände)

Stefan hält die Gegenstände, die er aus seiner schwarzen Handtasche herauszieht, betont lässig in die Höhe und sagt dann mit etwas zu lauter Stimme: Zwei Fahrkarten (Blick auf die Beamtin), zwei Kugelschreiber, einer schwarz, einer blau (Blick), zwei Hefte. Die nimmt ihm die Beamtin schnell aus der Hand und blättert darin, während Stefan höhnisch zwischen den Lippen hervorpreßt: Ich kann Ihnen auch daraus vorlesen! Ohne auf diese Bemerkung einzugehen, klappt die Beamtin die Hefte zu und gibt sie zurück.

Was Stefan aufregt, regt mich an: Ich bin wie so oft steigerungsbedürftig. Aber Grenzkontrolle ist ein müdes Klischee, wenn nicht etwas Anstößiges, Gefährliches, die Figuren Auseinander- oder Zusammenbringendes zum Vorschein kommt, weshalb es mir nur recht ist, daß sich die Szene noch fortsetzt: Im Nebenabteil wird mein roter Koffer auseinandergenommen. Die Frau, die so männlich-unberührt tut, hat anscheinend keine Haut, sondern nur Uniformzeug, keine Augen, sondern Kontroll-Lichter, keine Gedanken, sondern tickende Paragraphenzeilen. Sie wird nun endlich belohnt für ihr oftmaliges dienstliches Bücken. Obwohl ihr dabei jedesmal die nur lose sitzende Kappe nach vorn rutscht, geht sie immer wieder, dabei den Kopf neigend, in die Knie, beispielhaft für ihren Begleiter, der errötend seine Gewissensnot signalisiert: ob er die Kappe nun aufheben darf.

Dagegen wehrt sich die Beamtin mit einem knappen Wink. Da ihre blonde Haarflut nach vorn über die blaßblauen, vor Eifer feuchten Augen schwappt, ist sie gezwungen, sich im Aufrichten diese mit beiden Handflächen nach hinten zu streifen, zugleich die nun mit den Fingerspitzen gehaltene Kappe heruntergleiten zu lassen - eine hier befremdlich graziös wirkende Geste, die mich sie amüsiert anlächeln läßt.

Bevor ich jedoch Pullover, Hosen und die Unterwäsche wieder einordnen kann, hält die Frau ihren Assistenten dazu an, zwischen die restlichen Kleidungsstücke zu greifen, worauf dieser meine dort plazierten Bücher und Zeitschriften herausfischt, darunter Bornemans „Ur-Szene", eine „Courage"-Nummer und Kate Milletts „Sexual politics".

Nachdem Stefan einen unartikulierten Warnlaut von sich gegeben hat, tritt die Beamtin auf den Gang hinaus und studiert die Fundstücke, was mich mit einiger Befriedigung erfüllt, kann ich mir doch auch einen gewissen Zwiespalt zwischen dienstlichem und privatem Interesse in ihrem Hirn vorstellen, wofür sie eine elegante Lösung findet: Sie verschwindet zur eingehenden Prüfung der inkriminierten Druckschriften und zur Beratung mit ihrem Vorgesetzten im Dienstabteil.

Und du kokettierst noch mit dieser Kuh! Stefan wirft seine Fäuste gegen die flachen Betten, droht, eine Decke mit einem einzigen Ruck zu zerreißen oder gar seine Wut an der Coupé-Tür auszulassen.

Und jetzt schlägt das Patriarchat mit ganzer Kraft zurück! Ich drücke ihn schnell aufs untere Bett und beobachte interessiert den weiteren Verlauf der sich anbahnenden Verknäuelungen.

Doch kaum löst sich seine Verspannung, kaum hat er seine Arme um mich geschlungen, baut sich schon meine Grenzfrau wieder vor uns auf, nur den Borneman in der Hand. Eine Sicherstellungsverfügung, zugleich Hinterlegungsbescheinigung für die beiden anderen Drucksachen hat sie bereits ausgefüllt bei sich. Gemäß § 5, Absatz 1, Ziffer 4 des Zollgeset-zes der DDR, das jeder Einreisende ja kennen sollte, bleiben diese am Grenzort in Verwahrung. Es sei aber ratsam, fügt sie hinzu, bei der Rückfahrt die Bescheinigung bereits in Dres-den einem mitreisenden Grenzer zu übergeben, damit sie mir rechtzeitig ausgefolgt werden können.

(Die Berliner Entscheidung, Residenz Verlag, 1984)

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