DB-050 (20) (Ins neue Jahr mit neuem Haar)

Ins neue Jahr mit neuem Haar: Götz ist stolz auf seinen Slogan und setzt ihn sofort in die Tat um. Je kürzer, desto besser, fordert Stefan. Perversling, lacht Beate und reicht Lena einen Sessel. Die Kinder raus, kommandiert Götz, auf die fünf Fernsehprogramme mit Nachdruck verweisend.

Die Veränderung Lenas hebt an mit raschen Schnitten und eindeutigen Griffen von Götz. Verjüngung, Rasur bis zur Haut, Austreibung des eindeutig Geschlechtlichen bei Vermehrung des Menschlichen, damit des allgemein Erotischen.

Stefan assoziiert zum Scherengeräusch immer lauter werdende Stimmen in einem großen Saal. Gelächter, kämpferischer Tumult.

Aus dem Kopf Lenas erhebt sich die Phosphoreszierende Frau, spricht, ohne sich umzudrehen, aus ihrem schwarzen Männeranzug mit elastischer, tiefangesetzter Stimme: Heute haben wir uns getroffen, aber unsere Begegnung ist flüchtig.

Wir sehen das Große unserer Arbeit noch nicht. Sie verstehe die Macht des Willens der Anwesenden und den Lärm ihres Vorwärtsdrängens. Begeistert habe sie wahrgenommen, wie die Buchstaben der Legenden über ihren Kampf lebendig geworden seien.

Sie verstehe, daß sie keine Zeit haben, hinter ihre Arbeit zurückzutreten und sich zu bespiegeln, sondern den Kampf gegen die bewaffnete Welt der Parasiten und Unterdrücker fortsetzen müssen. Aber in der Zukunft liege die Vergangenheit auf der Hand.

Plötzlich Lena, fast völlig geschoren, die sich erhebt, Stefan unsicher anlächelnd. Ob sie denn nicht zuviel Haare gelassen habe. Keineswegs. Dann muß Kaffee her zum Feiern.

Lena reibt ihn in einer klapprigen Mühle, vergißt aber, ihn in die Kanne zu tun, pures heißes Wasser in ihre Tasse schüttend, stellt sie enttäuscht fest, daß der Kaffee seltsamerweise nicht greife. Klar, ergänzt Beate, Ost-Kaffee greift nie, West-Kaffee immer, bevor sie Lenas Irrtum bemerkt.

(Die Berliner Entscheidung, Residenz Verlag, 1984)
e.a.richter - 2012-12-22 17:02

„In seinem satirischen Theaterstück „Schwitzbad“ (1930) konfrontiert Majakowski eine Gruppe von Funktionären, Arbeitern und Künstlern mit einer Zeitmaschine, die sie in die Zukunft katapultieren soll. Die Genossen stehen dem Vorhaben fasziniert und zugleich zögernd gegenüber. Auf die Aufforderung der phosphoreszierenden Frau, an der Reise in die Zukunft teilzunehmen, melden sich Luschkin, Zweikin und Dreikin bereits. Die phosphoreszierenden Frau ist erstaunt, dass sich diese sowohl als Arbeiter wie als Mathematiker melden, und sagt:
PHOSPHORESZIERENDEN FRAU: Ich sehe mit Ihrem beweglichen Schnellgehirn können Sie direkt zu uns kommen und bei uns arbeiten.
FAHRRADKIN: Das fürchten wir gerade, Genossin, Wir lassen die Maschine an und kommen selbstverständlich mit, wenn die Parteizelle uns schickt. Aber vorläufig lassen Sie uns lieber hier. Unsere Fabrik geht eben zum Dreischichtsystem über – da interessiert man sich doch und möchte wissen, erfüllen wir den Fünfjahresplan in vier Jahren oder nicht?“
(Aus: Tanja Bogusz, Institution und Utopie: Ost-West-Transformationen an der Berliner Volksbühne, 2007)

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„...Dies ist der Versuch eines komprimierten Familienromans, zugleich ein Reisebericht, der an einen Ort führt, wo die Kriegsschäden an den Menschen und deren Behausungen noch unverhüllt sichtbar sind. Lena und Stefan, von den gegensätzlichen Seiten der Geschichte kommend, unternehmen, sich zwischen Überlebenden und deren Nachkommen bewegend, einen Versöhnungsversuch...“ (Klappentext)

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