F-02 FRIEDE DEN MÄNNERN

Eigentlich wollten wir ins Kino gehn,
aber plötzlich wars zu spät, so entstand
eine Pause, ihr Frauen
zogt euch zurück zu einem Frauengespräch,
ich Mann blieb allein mit mir,
auf einem Ikea-Stuhl,
und schob etwas Nützliches ein.
Ihr kamt zurück, unter euch
meine Freundin, der Tee
war herb und heiß, das Cassettengerät
stand auf dem Tisch, die Frage: Was
ist die Liebe der Männer?
verbrannte mir die Zunge,
ich trank den Tee.
Trotzdem beschrieb ich euch meine Scham,
meine phantastische Pubertät:
die Blickwechsel im Spiegel,
die Friedhof- und Kirchturm-Küsse,
Rosen und Schädel,
Schwänze und Engel,
meine ausschweifenden Erwartungen,
meine überraschenden Gefühlsumschwünge,
mein offenkundiges Unglück.
Ich beschrieb euch meine Mutter,
meinen Vater, meine ersten Geliebten,
doch ihr maßt mich mit Frauenaugen,
da kam ich ins Stottern,
und ein anderer trat hinzu, lächelte
mitfühlend, zuckte die Schultern,
trank meinen Tee und verschwand.
Wir gingen dann doch ins Kino, viel später,
ich Mann und ihr Frauen,
unter euch meine Freundin,
und ich sah euch neben mir,
im Dunkeln umschlungene Paare,
unter euch meine Freundin,
und ich saß neben euch,
ohne Körperverbindung, mutterlos-
seelenvoll, stets an der Kippe
zum Mann, mitten im Männerfilm
über Frauen: jeder Seitenblick
war Krieg, jeder Atemzug
vertrieb das Paradies.
Ich flüchtete aufs Klo,
stellte mir Friedliches vor:
ohne Ansehn des Geschlechts
massieren wir einander
mit genauer Zärtlichkeit,
ohne Ansehn des Geschlechts
erzählen wir einander voneinander
mit befreiender Freundlichkeit,
ohne Ansehn des Geschlechts
bereiten wir einander
eine gute Mahlzeit, essend
machen wir Pläne und gehn dann,
ohne Ansehn des Geschlechts,
an die Arbeit.
Aber als ich euch Frauen
auf der Straße wiedersah,
eingehängt, eine breite Front, nach vorn
marschierend, da griff ich mir
meine Freundin, würgte und schlug sie,
bis ihr Frauen über mich herfielt,
und mein Blut kam über euch,
färbte Gesichter und Hände rot.

(1981)

(Eingestellt zum Weltfrauentag 2011)

(Erschienen in: Friede den Männern, Residenz Verlag, 1982)
Eugene Faust - 2011-03-08 10:47

WOW - Großes Kino!


e.a.richter - 2011-03-08 16:20

Ich dachte zuerst, das Gedicht bezieht sich Frank Ripplohs "Taxi zum Klo", sah aber ein, daß es sich um ein passendes amerikanisches Melodram handeln muß, das im März 1981 in die Kinos kam. Vielleicht wissen Sie, welcher Film das sein könnte, liebe Fr. Faust.
Eugene Faust - 2011-03-08 17:17

Da muss ich leider passen.

Aber Riplohs Charakteristik - „Es ist ein trauriger Film, der die Sehnsucht nach einer Beziehung und ihrer Unmöglichkeit zum Ausdruck bringt, (...)" - passt hier eigentlich ganz gut.
Sturznest - 2011-03-08 11:07

ja solche frauen gab es und ich habe viele von ihnen sehr gemocht, weil sie anschliessend eis aßen, über häuser redeten die unbedingt besetzt werden mussten und weil es niemand gab, der schöner war als sie...

e.a.richter - 2011-03-08 18:10

Für mich war Verena Stefans „Häutungen“ ein Schlüsselbuch, lieber sturznest. Ich habe es in der Frauenbuchhandlung gekauft. Seltsamerweise hat es mir zuerst einmal die Augen für die umliegende Natur geöffnet, es muß im Frühling gewesen sein, ich habe noch dieses Gefühl in Erinnerung, als würde ich zum ersten Mal frisch belaubte Birken sehen.

Das andere: der Satz „Liebe ist eine tausendfache verwechslung von begehrtsein und vergewaltigt werden" hatte verwirrende und bedeutsame Folgen auf meine Frauenbeziehungen; aber keine Hausbesetzung, sondern zum Beispiel Anmietung in einem Bauernhaus im Waldviertel, in dem viele Feministinnentreffen stattfanden.

Übrigens: mit einem Zitat aus dem Stefan-Buch - etwa: "Ich möchte mit keines mannes verkümmerung gleichberechtigt sein" – war mann schnell mundtot zu machen, obwohl dieser dann trotzdem darum gebeten werden konnte, Fotos für die deutsche Ausgabe von O.B.O.S. ("Our bodies ourselves") zu machen.
Sturznest - 2011-03-08 18:43

mir ist der satz sehr symphatisc, ich habe heute bei facebook gelesen, warum sind denn immer noch so wenig frauen in spitzenpositionen, ja was, nein, da gehören die nicht hin und dazu passt dersatz dann auch wieder.."Ich möchte mit keines mannes verkümmerung gleichberechtigt sein"
ich kann mich noch sehr gut an einen umzug nur mit frauen erinnern, das ging so was von ruhig ab, ohe irgendwelches gehabe, nun muss man deshalb die frauen niht heilig sprechen, schon gar nicht alle
e.a.richter - 2011-03-08 18:59

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