F-05 - Active Poesie

Als der tote Buchebner endlich aufwacht,
vom Lärm im österreichischen Lachkabinett,
aufsteht aus seinem soliden Alpensarg,
raustritt aus seiner Zellulose-Zeit
mit fanatischen Augen, ohne Morphium,
die mörderische Qual des Jahrhunderts im Gesicht,
als er die gepolsterte Tür hier eintritt,
da hört jedes Papierrascheln auf,
die outrierenden Schauspieler fallen textlos um,
der Schatten am Kopf des Geigers stockt:
eine krähende Feuersirene,
Buchebner, mit der noch immer nicht entschärften
Sprengladung im Hirn, fegt seine Feier hinaus
bei den geschlossenen Fenstern,
mit einem Griff in die Bauchhöhle.
Raus fallen die Arbeiter von Schoeller Bleckmann,
die Wickler von Semperit, Friedens-
versehrte an Leib und Seele,
in ihre ungewollte Wiedergeburt.
Einer bläst sich auf, ballt die Faust,
und es regnet eine Unmenge Dinge,
Kühlschränke Reifen Messer Autos:
er signiert sie mit seinem Namen,
sie füllen den Saal,
die Redner gehn unter, schrein um Hilfe,
das Gelächter der Ausgeworfenen erstickt sie.
Lässig befördert der Dichter
den Rest ans Licht: Vorstandsmitglieder,
Direktoren, Experten.
Er lässt sie an ihren Haaren
baumeln. Das ist
active Poesie, schreit er.
Das ist meine Rache,
die lindert ein wenig den Schmerz.
Mit den Lohnstreifen erwürgt er sie alle: Das ist
die Botschaft der Hölle Fabrik,
das ist der Fortschritt.
Als Buchebner seine Kreaturen
in den Bauch wieder einschließt,
kippt er vornüber.
Mit ihm versinkt
seine totale Revolte.
Der tote Raum
hallt wieder,
das gefrorene Blut
taut auf, mühelos
finden die Schauspieler den Anschluss,
die Schatten rühren sich:
es ist, als wär
nichts gewesen.

(1980)

(Blick zum Nachbarn: Freaks 06.)

(Erschienen in: Friede den Männern, Residenz Verlag, 1982)
e.a.richter - 2011-03-25 21:30

Nachtrag

Als Ergänzung einige Abschnitte aus dem Vortrag, den ich im Rahmen des „Fest-Abends zum 80. Geburtstag“ Walter Buchebnes am 18.11.2009 im kunsthaus muerz in Mürzzuschlag gehalten habe:

„...Auf dem Gedicht „Active Poesie“ fand sich der Vermerk 4.11.1979, was nicht heißt, daß es da geschrieben wurde, sondern daß es sich auf ein Ereignis an diesem Tag bezog. Aus dem Kalender war zu entnehmen, daß ich mich vom 2. bis 4. 11.1979 in Mürzzuschlag aufhielt, und zwar aus Anlaß einer Tagung zur Situation der Medien in Österreich. Es ging dabei in Arbeitsgruppen um die Produktionsbedingungen in Radio und Fernsehen, die Honorare, das Dramatische Zentrum, Presseförderung, die Situation der Kleinverlage, Stipendienvergabe, Integration des Schriftstellers in die Gesellschaft, Kulturpolitik, Literatur als Ware etc.

Durch einen Zufall fiel mir jetzt Buchebners „Zeit aus Zellulose“ wieder in die Hände, ein Buch, das 1969 von Alois Vogel herausgegeben worden war. Darin allerdings keine Anmerkung oder Unterstreichung, nur ein Knick auf der Seite 63, auf der jenes Gedicht zu lesen ist, auf das meines reagiert hat...

Zur Situation Ende der 70er Jahre: damals wurde gerade von Lukas Stepanik ein Fernsehfilm gedreht, nach einem Drehbuch von mir. Hauptfigur war ein 16jähriges Mädchen, das eine Ausbildung zum Kfz-Mechanikerin macht.

Geschlechterollendefinition in Beruf und Privatleben – davon war damals alles eingefärbt, lebte ich doch hauptsächlich in Gesellschaft von Feministinnen, deren Lebenspraxis darauf ausgerichtet war, die politische und private Situation aller Frauen zu verbessern. Es war auch die Zeit, in der mir die Lage der in der Industrie Arbeitenden sehr nahe ging und ich wegen eines Stoffs mit dem Arbeitstitel „Akkordrausch“ in mehreren Fabriken recherchierte.

Die Wut über die politischen und ökonomischen Verhältnisse und der Glaube an die Veränderbarkeit der Welt durch aufklärerische Literatur und Kunst waren vermutlich der Hauptimpetus der damaligen Literaturproduktion. Dazu Buchebner: „kapital/vergiftet das/herz.“ (S. 62)

Die im Gedicht beschworene Auferstehung Buchebners in der Revolte gegen die kapitalistischen Verhältnisse fand auch 15 Jahre nach seinem Tod nicht statt. Es war nur eine Augenblicks–Phantasie gewesen, getragen von Gefühlen und Hoffnungen, denen ich heute distanziert gegenüber stehe, nicht aus Resignation, sondern aus der Erfahrung dessen, durch welche Ereignisse sich die Welt danach tatsächlich verändert hatte.

Nun zu Buchebners Gedicht „eines tages werde ich aufwachen“, das den Anstoß zu meinem gegeben hat. Schon dieser mehrmals wiederholte Satz – „eines tages werde ich aufwachen“ – scheint mich zu dieser Auferstehungsphantasie animiert zu haben, beinhaltet er doch die Verheißung eines zukünftigen Lebens in voller Wachheit und Handlungsbereitschaft.

Für diejenigen, denen das Einschlafen keine Qual darstellt, ist jedes Erwachen ein Versprechen auf einen Neubeginn, womit Buchebner in seiner ausführlichen Definition von „Activer Poesie“ die Hoffnung auf eine „endgültige Klärung aller staatlichen und religiösen, schon undeutbar gewordenen Systeme der Vergangenheit“ verbindet, auch die Verpflichtung, trotz des Wissens um „das allzu häufige Scheitern und Versanden jedes Aktionalismus'“ „mit allen zu Gebote stehenden Mitteln um Neuerkenntnis und Neuorientierung“ zu ringen...“

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