W-01 NEGATIVE UTOPIE

Die Katastrophe im Kopf
ist die bequeme Utopie,
mit der alle liebäugeln müssen:

das zusammenstürzende Haus,
das die andern Häuser mitreißt;
das sich überschlagende Auto,

Ursache einer Massenkarambolage im Nebel;
die allgemeine allseitige Liebe,
die allen Arbeitern überall in die Glieder fährt,

blitzschneller Krebs
im Nervenzentrum des Systems.
Dann heult der Urwald,

und die Sonne brennt Tag und Nacht,
und auf die eingeebneten Berge
stürzen die Himmel herab,

und Feuer platzt aus dem Erdinnern:
alles ist gleichzeitig
neu und zuende.

Trotzdem die Babys lächeln
mit vollen Mägen,
die Frauen gehn trächtig mit neuen Kindern,

die Männer träumen von einer Festung,
umgeben von Alarmanlagen, Sirenen,
scharfen Hunden, Polizei,

von einem schußsicheren Vorfeld
und einem in Warteposition
die Zukunft einkreisenden Erlöser.


(1980) (korr.12.3.2011)
BUCH BLOG - 2011-03-14 20:09

Wieso denn liebäugeln? Die Katastrophe ist passiert.
Und warum diese Korrektur?

parallalie - 2011-03-14 23:02

ich seh's aber doch als konsequent: die gestrichenen zeilen sind die sicherheits-utopie, das liebäugeln mit der katastrophe. diese sicherheit hat sich als utopie erwiesen, und das liebäugeln ist mir das "hoppla, wir leben!" und seit 1980 hat sich manche katastrophe ereignet (was fällt mir schnell und spontan ein: Tschernobyl, Ruanda, Twin-Towers, Haiti (!)). die neue endzeile bekommt ein ganz eigenes gewicht. sozusagen die katastrophe der illusion (denn es wird ja wohl Japan gemeint sein), es schaffen zu können. daneben gehen die nebenkatastrophen der dritten welt allerdings schnell ins nebenfach. denn dort ist es nun mal so.
Sturznest - 2011-03-15 00:20

Die gestrichenenen Worte sind noch da, sie sind lesbar, man kann sie für das Einzige im Gedicht halten, was noch zählt.
Sie haben Bosnien bei ihrer Aufzählung vergessen und wem ist Afrika egal, wer soll das sein, dem es egal ist? Kümmert es Sie, warum liest man dann so wenig davon in Ihren Texten?
Iris2002 - 2011-03-16 18:36

Korrektur?

Ist damit das Streichen der 3 Strophen gemeint? Wozu streichen und doch lesbar lassen? Ist 2011 weniger /keine Fortsetzung nach 'neu und zuende' möglich als 1980?? Also nicht einmal mehr der Traum von einem Erlöser....

Trackback URL:
https://earichter.twoday.net/stories/w-01-negative-utopie/modTrackback

User Status

Du bist nicht angemeldet.

Free Text (1)

Dieses Weblog wird hier archiviert.

Archiv (ab 1967)

Lyrikbände:

Der zarte Leib

Friede den Männern

Das leere Kuvert

Eurotunnel

Obachter

Schreibzimmer

Romane:

Die Berliner Entscheidung

Originalverpackt oder mit Widmung über e.a.richter(ett)gmx(punktt)at erhältlich.

„...Dies ist der Versuch eines komprimierten Familienromans, zugleich ein Reisebericht, der an einen Ort führt, wo die Kriegsschäden an den Menschen und deren Behausungen noch unverhüllt sichtbar sind. Lena und Stefan, von den gegensätzlichen Seiten der Geschichte kommend, unternehmen, sich zwischen Überlebenden und deren Nachkommen bewegend, einen Versöhnungsversuch...“ (Klappentext)

Fliege. Roman eines Augenblicks

Aktuelle Beiträge

0126-1b A KIND OF DEPARTURE
the lady of the house speech-impaired since an incomprehensible...
e.a.richter - 2015-12-30 07:09
0126-1a AUCH EIN ABGANG
die gnädige frau sprachgestört wohnt sie seit einem...
e.a.richter - 2015-12-26 03:43
0107a - THE TEACHERS
the teachers leave the school the prettiest teacher...
e.a.richter - 2015-12-23 21:27
DT-001 FETISCH
(YVONNE) ihre weiße Bluse steif, ein Fetisch, der...
e.a.richter - 2015-12-21 12:12
DZL-18 DAS BETT
das Bett, das alles verraten wollte und nichts verriet:...
e.a.richter - 2015-10-07 04:22
DZL-17 PUPPI
was zu sehen ist, in einzelne Stücke zerlegen; alle...
e.a.richter - 2015-06-02 08:44
DZL-01 WIR GLAUBTEN AN...
wir glaubten an das Blut. Dieses Wir ist mit Vorsicht...
e.a.richter - 2015-05-07 13:59
DZL-02 MEIN PATTEX
mein Zauberer hieß nicht Pattex, nicht Expatt. Er lebte...
e.a.richter - 2015-05-07 13:58
DZL-03 DER ZARTE LEIB
Zartleibigkeit wird vermißt, auch intensive Zartlebigkeit....
e.a.richter - 2015-05-07 13:56
DZL-04 - ZU MEINER ZEIT
zu meiner Zeit war gar keine Zeit. Die Zeit hatte sich...
e.a.richter - 2015-05-07 13:55
DZL-06 IN DIE HÖHE SINKEN
schwierig zu lesen: Er begriff seine Geschichte. Blatt...
e.a.richter - 2015-05-07 13:53
DZL-07 TISCHLERPLATTE
mein Vater, Tischler, hatte keine Tischlerplatte, er...
e.a.richter - 2015-05-07 13:52
DZL-08 GOLD, GLANZ, HEITERKEIT
sie sagt, ich bin älter als mein Vater, als er zu...
e.a.richter - 2015-05-07 13:51
DZL-09 WIR GLAUBTEN AN...
wir glaubten an das Blut. Dieses Wir ist mit Vorsicht...
e.a.richter - 2015-05-07 13:51
DZL-10 BRAUTMASCHINE
ein Mann braucht nur eine Wand und eine Braut. Er braucht...
e.a.richter - 2015-05-07 13:50
DZL-11 SCHWIMMERIN
wenn sich das Tor geöffnet hat, fährt allen in ihren...
e.a.richter - 2015-05-07 13:50
DZL-12 FRESSEN UND WUCHERN
Gedichte zu fressen ist nicht meine Sache. Ich lese...
e.a.richter - 2015-05-07 13:49
DZL-13 KONTROLLE VERLIEREN
Kontrolle verlieren, im Nebenraum, wo alles aufgetürmt...
e.a.richter - 2015-05-07 13:49
DZL-14 MUNDSCHUTZ FÜR...
es begann mit strahlenden Augen, auf einer Schnitzerei...
e.a.richter - 2015-05-07 13:48
DZL-15 JUNGE FRAUEN...
dem kleinen Mann macht die Situation einen Gefallen: zwei...
e.a.richter - 2015-05-07 13:48

Free Text (2)

Free Text (3)

Archiv

März 2011
Mo
Di
Mi
Do
Fr
Sa
So
 
 
 
 
 

Suche

 

Status

Online seit 4862 Tagen
Zuletzt aktualisiert: 2016-01-06 11:08

Credits


A Roma etc.
Das leere Kuvert
Der zarte Leib
Detonation und Idylle
Die Berliner Entscheidung
Erste Instanz
Eurotunnel
Fliege (Notizen)
Friede den Männern
Jetzt
Licht, Schatten
Namen
Obachter
Pessimismus & Erfahrung
Schreibzimmer
Stummfilmzeit
... weitere
Profil
Abmelden
Weblog abonnieren