Samstag, 17. November 2012

DB-027 (11) (Wir hatten damals beide diese Kaffeehausmanie)

Wir hatten damals beide diese Kaffeehausmanie: Da sitzt du, wie auf dem Präsentierteller, in einem weichen ledernen Pfuhl mit dem Rücken zur Wand, hinter dir ein Spiegel bis zum Plafond, in den du aber nicht schaust. Du weißt: Er spiegelt sie alle, die da hereintreten, an dir vorbeidefilieren, auf der Suche nach einem Platz, der ihnen das gleiche Gefühl vermittelt. Und du genießt es, daß sie vorher dich, dann hinter dir den Spiegel und schließlich (einen Augenblick, der sie zutiefst verunsichert), sich selbst sehen müssen als Spiegelung, deren Flüchtigkeit sie starr werden läßt.

Du genießt es, gegen die sich dehnende Zeit und das Unangenehme, das bevorsteht, deine übliche Gedankenvertreibung zu setzen, dein Doppelspiel mittels unauffälliger Muskelarbeit. Während überm Tisch die Grüne Blatt-Lektüre, der Grüne Blatt-Tratsch (damit fühlten wir uns damals ungeheuer elitär!) nach den jeweils kurzen Unterbrechungen durch die Neuankömmlinge fortgesetzt wird, erhitzt du dich (absichtlich nebenbei) durch unmerkliche Stellungsveränderungen so lang, bis die Hitze auseinanderzufließen beginnt, aufsteigt.

Du genießt es, so unauffällig deinen Kaffeehausnachmittag oder -abend zu strukturieren, über halbe Stunden, Stunden hinweg, durch eine Abfolge von Lesehappen, Satzverflechtungen, Aufschauen, Lächeln, Spannen, Loslassen, Abflachenlassen, Anstauen, Auf-die-Spitze-Treiben. Du genießt es, diese Öffentlichkeit zu deinen Intimitäten zu mißbrauchen, steigerst den Mißbrauch durch die Zeugenschaft einer vielleicht wirklich unwissenden, vielleicht auch mit eben solchen Parallelaktionen beschäftigten Vertrauten, wie du Zuschauerin und Aktrice zugleich.

Wenn damals ein Orgasmus nicht mehr zu verhindern war, schickte ich Amanda einfach aufs Klo oder zum Telefon, von wo sie mit neuer Nahrung für ihre Schwärmereien von Bernard zurückkehrte. Daß sie mir schließlich ihre Briefe an ihn, die sie niemals abschickte, zu lesen gab, ließ mein schwaches Interesse in ein erstes Treffen mit diesem Mann ausarten, der sofort sehr geschickt seine Erfahrung einsetzte, um die gemeinsamen Spaziergänge immer näher an die elterliche Wohnung heranzuführen und mich dort (als die Eltern über Pfingsten verreisten) in meinem eigenen Bett zu entjungfern.

Das zusätzlich Aufreizende waren die Verschleierungsmanöver nach allen Seiten, die mich aber in immer größere Abhängigkeit von Bernard und seiner Lebensführung brachten, was meinem Vater nicht verborgen bleiben konnte. Durch seine eifersüchtigen Gegenmaßnahmen steigerte er mein Unglück so ins Maßlose, daß ihm ein längerer Aufenthalt in der französischen Schweiz als das einzig sinnvolle Heilmittel erschien. Dort sollte ich, beschützt von Oskar, auf andere Gedanken kommen, Geld verdienen, meine Französischkenntnisse erweitern.

Die Aussicht auf ein Wiedersehen mit meinem Onkel ließ mich schließlich nachgeben. Aber dieser ist anfangs gar nicht in Genf gewesen, weshalb ich (aus Rache für alles, was mir Männer bisher angetan hatten) dem Haushaltsvorstand meiner Au-pair-Familie zwar heftig schöne Augen machte, jeden Annäherungsversuch jedoch genauso heftig zurückwies.

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