Freitag, 16. November 2012

DB-026 11 (Meinen Aktivitätsdrang am Morgen kennst du)

11

Meinen Aktivitätsdrang am Morgen kennst du (allerdings hast du Sitzungen vor neun immer siegreich zu verhindern gewußt). Während Stefan sich noch herumwälzt, seinen immer schwerer werdenden Arm nicht von meiner Schulter nimmt, will ich gleich aufstehen, meine Klarheit festhalten, meine Alptraumreste mit einem starken Kaffee wegspülen. Weg mit den Reflexionen, die nur in Wehleidigkeit münden, weg mit dem Wunsch nach dem Entgangenen! Heute kehren meine Verwandten zurück; damit ist unsere zweisame Einsamkeit in ihrer Wohnung zuende.

Noch im Halbschlaf hat Stefan seine Bedürfnisse befriedigen können: Ich hab ihn eindringen lassen, ohne ein romantisches Vorspiel zu fordern oder gar eine brünstige Eroberung der Zitadelle Lena, die sich ja, wie du weißt, äußerst schwertäte, energische Abwehrmaßnahmen zu ergreifen.

Da hast du deine Verdienste: Wenn ein Mann aufgetaucht ist, der sich eingebildet hat, mir Stefan austreiben zu müssen (mit einer verbissenen Beharrlichkeit, einer abscheulich gesteigerten Bedürftigkeit nach gerade meiner Zärtlichkeit, was mich eingestandenermaßen immer so schwach, so gefährdet macht), hast du mir den Rücken gestärkt, mir das Ergebnis eines solchen Abenteuers vor Augen gehalten (ohne viel Rücksicht auf meine letzten Endes gegen mich selbst gerichteten Gelüste zu nehmen, ohne meine selbstzerstörerischen Unterwerfungs- und Entgrenzungssehnsüchte zuzulassen).

Jetzt schulde ich mir (und auch Stefan) eine wohlüberlegte Aufeinanderfolge von Handlungspartikeln: Badezimmer, Dusche, schnelles Abtrocknen, Ins-Kleid-Schlüpfen, In-die-Küche-Gehen, Wasser-Hinstellen, Kaffee-Reiben. Auch die Eier werden pünktlich und richtig fertig, aber Stefan, ein Häufchen Widersprüche am Küchentisch, will keines, obwohl sonst nicht viel zu essen vorhanden ist.

Während des Frühstücks gebe ich mir freiwillig erneut das Stichwort Genf, zur Ermunterung meines ausgelaugten Wirrkopfs. In Genf, als ich das erste Mal 1962 dort gewesen bin, hätte ich von einer schweren Krankheit, der quälenden Liebe zu einem bedeutend älteren Franzosen (er war Lehrer am Lyzeum) geheilt werden sollen.

Mein Vater hatte (und das nicht zum ersten Mal) recht gewaltsam und (so beteuerte er jedenfalls) nur zu meinem Vorteil in meine Liebesverhältnisse eingegriffen, nachdem ich auf einmal weder aus noch ein gewußt habe. Denn der Liebhaber war (wie nachher noch öfters) verheiratet, hatte Kinder, eine Hexe als Frau (die dann doch kurze Zeit meine Freundin wurde, ohne vom Charakter meiner Beziehung zu ihrem Mann etwas zu ahnen: ein spannender Zeitvertreib, der die bitteren Stunden des Studiums versüßen half).

Alles in allem: ein unsagbar melodramatischer Film mit allen Ingredienzien, die die Hoffnung auf ein Happy-End wachhalten, obwohl die unausweichliche Tragödie schon in der ersten Sekunde der Begegnung durchscheint. Angefangen hat alles damit, daß meine Schulkollegin Amanda mir erzählte, sie sei in einen gewissen Bernard erschreckend unheilbar verliebt.

(Die Berliner Entscheidung, Residenz Verlag, 1984)

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„...Dies ist der Versuch eines komprimierten Familienromans, zugleich ein Reisebericht, der an einen Ort führt, wo die Kriegsschäden an den Menschen und deren Behausungen noch unverhüllt sichtbar sind. Lena und Stefan, von den gegensätzlichen Seiten der Geschichte kommend, unternehmen, sich zwischen Überlebenden und deren Nachkommen bewegend, einen Versöhnungsversuch...“ (Klappentext)

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