D-22 JARDIN DES PLANTES

neben vernachlässigten Tieren
nur graue, verbitterte Wärter,
die sich heimlich mit dem Fleisch
für die Raubtiere vollstopfen.

Kein einziger Panther im Tanz
von Kraft, mit großem Willen.
Nur schläfrig blinzelnd, ein Löwe,
wie alle anderen Tiere in einem

baufälligen Käfig. Schildkröten,
die einander mit knirschenden Panzern
in unbeirrbarer Langsamkeit für immer
aus dem Weg räumen wollen.

Und am Ende der Qualen kehrtgemacht,
und wieder Auf-einander-Vorrücken,
Millimeter-Kampf im gelben Wasser,
vor ausgeblichenen Naturlandschaften.

Hingegen die Orang Utan-Frau
ganz Mutter inmitten von Holzwolle
unterm grünen Tuch mit ihrem Kleinen.
Herauslangt eine riesige Tatze

mit frappantem Fingerspitzengefühl.
Daneben zwei junge Wilde auf Seilen,
die scheinbar nach roten Bausteinen haschen:
sie huldigen nur ihrer Bewegungslust.

Vor dem Gitter ein Mann, der weltabgewandt
an einer Figur herumspachtelt,
kleiner Teil eines Affen-Theaters
für die winzige Ewigkeit seiner Existenz.

Draußen ist schon Frühling, im Park
wird stürmisch gekehrt.
Die Magnolien platzen.
Der braune Dinosaurier beim Eingang

ist nur ein Modell aus Metall.
Das schwarze Klavier inmitten
der heftig grünenden Wiese
klafft stumm und wund

(Donnerstag, 29.4.1999, Paris)

(Erschienen in: Das leere Kuvert, Bibliothek der Provinz, 2002)
martin (Gast) - 2012-02-15 16:58

Yes, bored animals in tiny old cages

If you want to see bored animals ripped from their natural environment, and placed in tiny, old, poorly maintained environments, then this place is for you.

e.a.richter - 2012-02-16 18:35

Ménagerie

Am Zustand der Ménagerie hat sich sichtlich auch im letzten Jahrzehnt nicht viel geändert. In den Jardin des Plantes war ich damals gegangen, weil ich überzeugt war, schon während meines ersten Paris-Aufenthalts im Sommer 1962 dort gewesen zu sein. Aber eine konkrete Erinnerung wollte sich nicht einstellen.

Schon davor hatte ich anscheinend Rilkes „Der Panther" gekannt. Das Gedicht trägt den Untertitel „Im Jardin du Plantes, Paris“. Die dreibändige Werks-Ausgabe im Insel-Verlag habe ich erst Ende 1963 gekauft. Die zweite Strophe lautet: „Der weiche Gang geschmeidig starker Schritte,/ der sich im allerkleinsten Kreise dreht,/ ist wie ein Tanz von Kraft um eine Mitte,/ in der betäubt ein großer Wille steht.“

„Bald stellt sich heraus, daß der Zoo nur eine Ansammlung von verwahrlosten Tieren, rostigen und viel zu kleinen Käfigen ist, Manifestation einer Lieblosigkeit und Gleichgültigkeit gegenüber den Tieren und ihren natürlichen Lebensbereichen. Weder die Wissenschaft noch die Bevölkerung scheint das zu kümmern. Der Zoo wirft ein ganz schiefes Licht auf die Stadt. Wie es hier aussieht und wie es den gefangenen Tieren geht, scheint überhaupt kein Thema zu sein. Nur wenige Wärter sind zu sehen, sie machen ein tumben, gleichgültigen, fahlen Eindruck.

Eine Weile bei den Menschenaffen. Es gibt zwei fünfjährige Orang-Utans, die sich in ihrem Käfig sehr schnell hin- und herbewegen, meist schaukelnd. Einer beschäftigt sich zwischendurch verträumt mit Lego-Steinen. Davor ein Mann, der eine winzige Skulptur mitgebracht, an der er mit einer kleinen Spachtel weiterarbeitet.

Im Käfig gegenüber eine Orang Utan-Frau mit ihrem noch kleinen fünfjährigen Baby. Auffällig die Hände, viel größere als beim Menschen, eigentlich Pranken. Ihr Mann sitzt dunkel und dräuend im Käfig daneben.

Die Mutter zieht sich am Beginn unserer Beobachtung ein grünes Tuch über den Kopf und versteckt sich und das Baby darunter. Dessen Kopf paßt genu zwischen ihre zwei dicken Backenwülste. Sie wälzt sich vorsichtig ringend mit ihm auf dem Boden und reagiert auf alle seine Bewegungen.

Für meine Begleiterin ist der Kontakt mit Menschenaffen von zentraler Bedeutung. Ihr heftiges Interesse reicht bis in ihre Kindheitstage zurück, wo sie sich immer Daktari angeschaut hat. Ein Arzt in Afrika mit seiner blonden Tochter, der einen Schimpansen hat, Jeeta, und einen schielenden – oder blinden – Löwen, eine Abendserie, die etwa 1966 bis 1970 gesendet wurde, als sie noch in die Volksschule ging.“ (25.9.1999)

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