DB-73 27 (Ein Rückfall sozusagen)

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Ein Rückfall sozusagen: diese plötzliche Sucht nach einer Couch (die es bei dir ja gar nicht gibt). Wie Schuppen vor den Augen: diese eingebildete Nähe zu dir. Ich möchte dich sehen, jetzt, in Wirklichkeit: deine blitzblauen Augen, deine gelb-schwarzen Löckchen, dein flambiertes Gesicht, wenn du lachst, deinen schwarz-roten Mund, deinen flammenden Pullover, deine Pulswärmer, deine Wadenstrümpfe, deine schwarze Lederkluft.

Von mir aus auch: deine brave Jeansverkleidung, deine noch braveren Indiakleidchen, die dich zu einem Rüschenmädchen machen, zu einem Pferdeschwanz-Stirnfransen-Stupsnasen-Typ aus meinen heißerlittenen fünfziger Jahren. Oder würde dir im Moment bleichgepuderte Clowns-Dünnhäutigkeit genügen, um mich zu schocken, zu mütterlicher Aggression zu provozieren? Du sollst wissen: Dies ist eine Klage über das Schwinden der Einbildungskraft, über das Nachlassen der Bildschärfe, über die Sehnsucht nach einer Rückkehr in deine Mitgegenwart.

Ich könnte Situationen zu rekonstruieren versuchen, die mich trösten, aber an diesem Ort erscheint mir das plötzlich so pervers. Daher ist mir nichts willkommener als ein Anruf Oskars, mit genau den Worten, wie ich sie mir vorgestellt habe. Altdeutsche Höflichkeit. Nur der neutrale Ort des gemeinsamen Essens (das Restaurant im Haus der deutsch-sowjetischen Freundschaft) macht mich stutzig. Er hätte ja auch wieder kochen können, bei sich zuhause. Ich vermute Schwierigkeiten mit Lydia.

Ich hätte mir gewünscht, daß er mich in die Rillestraße chauffiert, und wir hätten dort weitergesehen. Er sitzt mir jedoch an diesem winzigen Ecktisch gegenüber, umgeben von Stasi-Leuten, mit grellen Krawatten, und Spionen, wie er gut gelaunt feststellt, die alle darauf aus sind, Kontaktpersonen (nicht seine, die der andern) zu ermitteln und zu beschatten. Es soll nur ein Witz gewesen sein, sagt Oskar und schielt auf eine blonde Schönheit neben einem Schwarzhaarigen, der in seinem Leibesfett geradezu schwimmt: Die ist auch eine.

Ich wehre mich sofort übertrieben heftig gegen solche Verdächtigungen der um uns Essenden.

Er sagt, nun wieder ernst, daß er auf so etwas überhaupt komme, hänge damit zusammen, daß er Bürger eines Staates sei (und zwar ein sehr loyaler), bei dem jede Geste, jede Bewegung von seinen Gegnern als Hilflosigkeit, Anzeichen von Schwäche oder gar Aggression gedeutet werde. Da müsse es doch erlaubt sein, immer und überall mißtrauisch zu sein, um jeder Finte des allgegenwärtigen Feindes entsprechend entgegentreten zu können.

Auf eine Diskussion auf dieser Ebene will ich mich nicht einlassen. Noch dazu, wo ich einen Überbrückungsversuch Oskars dahinter wittere, seine alte Tendenz, den Diskurs über die großen Zusammenhänge, die Ereignisse der Tages-, Wochen- und Monatspolitik über das Persönliche zu stellen.


(Die Berliner Entscheidung, Residenz Verlag, 1984)

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