O-26 W. IN B.

pflegeleicht der Mann, angeblich,
Gehen Sie weg, ein zweites Mal,
lauter, und man ging weg.

Und vom Schnee, den weiten Wegen,
immer mit Hut, oft mit nassen Hosen zurück,
sonntags, auch an manchen Samstagen.

Struktur der Woche: Arbeit bis ½, ¾ 11,
zusammenräumen, Tisch putzen,
dasselbe von ½ 2 bis ½, ¾ 5.

Dazwischen, und danach, das Essen.
Bettruhe ab ½ 8, daran rüttelt niemand,
am wenigsten er, aus Prinzip.

Eigenbrötler, sich selbst stets genug.
Und am Abend auf die Menge Arbeit sehr stolz.
Am Morgen Klopfen: Es ist Zeit!

Tasse, Löffel, Gabel – kein Messer.
Und immer den Anschnitt in Stückchen
zerrissen, einen schönen Haufen daraus.

Die eine Hälfte in die erste Tasse Kaffee,
die andere in die zweite;
beide langsam ausgelöffelt und ausgeputzt.

Hager, knochig, nicht mager, sehr adrett –
so Schritt für Schritt über die Berge,
immer am Kopf oder in der Hand den Hut.

Schreibend mit sehr kurzem Stift,
wenn keiner in der Nähe ist, auf das Fensterbrett,
geschwind aus dem Papiervorrat oben im Gilet.

Sonst alles versteckt. Commishaftes
Abschreibsystem, wie er selbst sagt,
sonst alles versteckt.

Überall, wo er gewesen war,
bald weitergegangen, immer weiter,
aus freier Lust am Austreten, ungejagt.

Schlendernd, hin- und herfegend
in einem so heiteren, für alle aufgeräumten Land,
auch sehr gesprächigen, voller Geduld

auf Schneeglöckchen wartend anstelle von Rosen,
zwischen den Seen, bisweilen auch unentdeckt
in einem Zelt am Fuß des Himalaya

(Sonntag, 17.8.2003, 16.30 Uhr, Berlin)

(Erschienen in: Obachter, Edition Korrespondenzen, 2007)
Teresa HzW - 2012-06-26 18:01

Nach diesem Gedicht
las ich zwei andere von Ihnen

die Ortsbestimmung
http://earichter.twoday.net/stories/0112-ortsbestimmung/#97043627
und dann
den Dorfstandpunkt
http://earichter.twoday.net/stories/0095-dorfstandpunkt/#97067427

Ich weiß nicht,
wie ich da hingekommen bin,
zwischen 3/4 5 und 1/4 6.

Von magischer Hand gelenkt?
Oder zu intensiv
am Schneeglöckchen gerochen?

Jedenfalls
sah ich
von meinem Dorfstandpunkt aus,
den Weg,
den W. in B. genommen,
insofern es mir möglich war,
[m]eine Ortsbestimmung
vorzunehmen.

Teresa HzW - 2012-06-26 18:05

Einfach wunderbar Ihre Gedichte,
Ihre Texte,
lieber E.A.Richter.

Und es ist mir weiterhin ein Rätsel
der Sprung von
2003 zu 1971 zu 1981 und zurück ins Jetzt.

[oder einfach meiner [post]modernen Les-Art geschuldet!?]

e.a.richter - 2012-06-26 21:09

Schönen Dank, liebe Teresa! Für mich ist dieses "switchen" manchmal ein Problem, nicht weil das meinem Geisteszustand nicht entspräche, sondern weil einiges nicht gleich auf den Festplatten zu finden ist. Ich will mir das Abschreiben ersparen; aber damit lade ich mir die Mühe auf, das Ergebnis des Suchprogramms abwarten und in diversen Dateien herumstöbern zu müssen.
Ein angenehmer Nebeneffekt des Ganzen ist, daß mir manche Gedichte von 1971, 1981, 2003 etc. mit "Proust-Effekten" nahetreten.
Teresa HzW - 2012-06-27 12:27

Wahrscheinlich ist es dieser "Proust-Effekt", der mich immer wieder auf Ihr Blog und in Ihre Gedichte hinein zieht.
Wenn ich Ihre Texte lese, v.a. jene aus den 1970er Jahren, tauchen unweigerlich eine Fülle an Erinnerungen an eine längst vergessene Zeit auf, die mir in der heutigen Wahrnehmung oft wie ein "goldenes Jahrzehnt" erscheint [wiewohl die 1970er natürlich nicht nur gülden, sondern auch ganz schön hart waren, aber das scheint mir heute gar nicht mehr auf, worüber ich mich manchmal sogar ein wenig wundere].
Erstaunlich, was eine Überschrift, ein Wort oder auch eine Gedichtzeile von Ihnen, aus dem verschütteten Unterbewußtsein nach oben spült.

Trackback URL:
https://earichter.twoday.net/stories/o-26-w-in-b/modTrackback

User Status

Du bist nicht angemeldet.

Free Text (1)

Dieses Weblog wird hier archiviert.

Archiv (ab 1967)

Lyrikbände:

Der zarte Leib

Friede den Männern

Das leere Kuvert

Eurotunnel

Obachter

Schreibzimmer

Romane:

Die Berliner Entscheidung

Originalverpackt oder mit Widmung über e.a.richter(ett)gmx(punktt)at erhältlich.

„...Dies ist der Versuch eines komprimierten Familienromans, zugleich ein Reisebericht, der an einen Ort führt, wo die Kriegsschäden an den Menschen und deren Behausungen noch unverhüllt sichtbar sind. Lena und Stefan, von den gegensätzlichen Seiten der Geschichte kommend, unternehmen, sich zwischen Überlebenden und deren Nachkommen bewegend, einen Versöhnungsversuch...“ (Klappentext)

Fliege. Roman eines Augenblicks

Aktuelle Beiträge

0126-1b A KIND OF DEPARTURE
the lady of the house speech-impaired since an incomprehensible...
e.a.richter - 2015-12-30 07:09
0126-1a AUCH EIN ABGANG
die gnädige frau sprachgestört wohnt sie seit einem...
e.a.richter - 2015-12-26 03:43
0107a - THE TEACHERS
the teachers leave the school the prettiest teacher...
e.a.richter - 2015-12-23 21:27
DT-001 FETISCH
(YVONNE) ihre weiße Bluse steif, ein Fetisch, der...
e.a.richter - 2015-12-21 12:12
DZL-18 DAS BETT
das Bett, das alles verraten wollte und nichts verriet:...
e.a.richter - 2015-10-07 04:22
DZL-17 PUPPI
was zu sehen ist, in einzelne Stücke zerlegen; alle...
e.a.richter - 2015-06-02 08:44
DZL-01 WIR GLAUBTEN AN...
wir glaubten an das Blut. Dieses Wir ist mit Vorsicht...
e.a.richter - 2015-05-07 13:59
DZL-02 MEIN PATTEX
mein Zauberer hieß nicht Pattex, nicht Expatt. Er lebte...
e.a.richter - 2015-05-07 13:58
DZL-03 DER ZARTE LEIB
Zartleibigkeit wird vermißt, auch intensive Zartlebigkeit....
e.a.richter - 2015-05-07 13:56
DZL-04 - ZU MEINER ZEIT
zu meiner Zeit war gar keine Zeit. Die Zeit hatte sich...
e.a.richter - 2015-05-07 13:55
DZL-06 IN DIE HÖHE SINKEN
schwierig zu lesen: Er begriff seine Geschichte. Blatt...
e.a.richter - 2015-05-07 13:53
DZL-07 TISCHLERPLATTE
mein Vater, Tischler, hatte keine Tischlerplatte, er...
e.a.richter - 2015-05-07 13:52
DZL-08 GOLD, GLANZ, HEITERKEIT
sie sagt, ich bin älter als mein Vater, als er zu...
e.a.richter - 2015-05-07 13:51
DZL-09 WIR GLAUBTEN AN...
wir glaubten an das Blut. Dieses Wir ist mit Vorsicht...
e.a.richter - 2015-05-07 13:51
DZL-10 BRAUTMASCHINE
ein Mann braucht nur eine Wand und eine Braut. Er braucht...
e.a.richter - 2015-05-07 13:50
DZL-11 SCHWIMMERIN
wenn sich das Tor geöffnet hat, fährt allen in ihren...
e.a.richter - 2015-05-07 13:50
DZL-12 FRESSEN UND WUCHERN
Gedichte zu fressen ist nicht meine Sache. Ich lese...
e.a.richter - 2015-05-07 13:49
DZL-13 KONTROLLE VERLIEREN
Kontrolle verlieren, im Nebenraum, wo alles aufgetürmt...
e.a.richter - 2015-05-07 13:49
DZL-14 MUNDSCHUTZ FÜR...
es begann mit strahlenden Augen, auf einer Schnitzerei...
e.a.richter - 2015-05-07 13:48
DZL-15 JUNGE FRAUEN...
dem kleinen Mann macht die Situation einen Gefallen: zwei...
e.a.richter - 2015-05-07 13:48

Free Text (2)

Free Text (3)

Archiv

Juni 2012
Mo
Di
Mi
Do
Fr
Sa
So
 
 
 
 
 1 
 2 
 4 
 6 
 8 
10
11
13
15
16
18
20
21
23
24
25
27
29
30
 
 

Suche

 

Status

Online seit 4840 Tagen
Zuletzt aktualisiert: 2016-01-06 11:08

Credits


A Roma etc.
Das leere Kuvert
Der zarte Leib
Detonation und Idylle
Die Berliner Entscheidung
Erste Instanz
Eurotunnel
Fliege (Notizen)
Friede den Männern
Jetzt
Licht, Schatten
Namen
Obachter
Pessimismus & Erfahrung
Schreibzimmer
Stummfilmzeit
... weitere
Profil
Abmelden
Weblog abonnieren