0037 - LICHT

nein nicht die rose bewegt sich sondern das licht
baumelnd kratzend grünes blattstengellicht
grüner lichthimmel der aufreißt barockes dreieck apotheose der kotbraunen felder
anthropomorph apostase a posteriori: hier herrscht jetzt die kraft des stärkeren
der stärkere gibt nicht nach er stellt ihnen ein bein er zieht ihnen das fell über die ohren
er spuckt ihnen in ihren schlund
der stärkere bewegt auch das licht es sind laserstrahlen

was wie ein gießkännchen ausschaut hat die potenz einer riesigen kanne
harmloser regen auf harmlose felder zu harmloser zeit
wärs samenwasser würd die welt an einem solch gleichgültigen morgen explodieren
schössen nicht die lichtblätter der rose auseinander
schössen nicht die lichtstengel in die breite höhe
schwölle nicht die lichtstraße zu unüberwindlichen lichtbuckeln die hügel
börsten die dörfer städte wüchsen ineinander & in den lichthimmel

du & ich wir sind zu schwach
wir sind zu schwach & durchlöchert luftlöcher a posteriori
wir haben das licht gefangen durch nichts als unsere nichtigkeit
die berstenden hügel verbergen aber plötzlich das licht
unsere bewegungen werden unkontrolliert das aufreißen reißt uns mit
das panorama saugt uns ein all unser licht: panoptikum paradox panphobie

eine sammlung das sehen betreffend meist wachsfiguren
das wachs in den ohren nützt nichts es schmerzt
das kratzen & reißen zehntausendmal verstärkt trotz des wachsens
sie wollen sich wirklich vor allen äußeren vorgängen verstecken
das blecherne baumelnde eigensinnige licht ist auch innen
weder du noch ich sind befreit a posteriori
weder dein samen noch meiner

weder dein name noch meiner unterbricht übertrifft die korpuskeln
unwahrscheinlich viele getroffene gefällte
mir ist als wär die erde fleisch als brodelte alles
mir ist als wär der kotbraune moder eine riesige gärung zusammengärung
denn auch der lichthimmel gärt
doch weder dein sehen noch meines ist dem allen gewachsen
was wächst ist die angst von allen seiten heran sichtbar braun oder grün

(do.17.4.1969)

(Blick zum Nachbarn: head fund 02.)
Iris2002 - 2011-03-22 16:56

brutal....

ist zwar stimmig - auch mit dem headfund 02 - aber beides viel zu brutal für meine sanft-erwartungsfreudig-gestimmte frühlingssehnsüchtige Seele am 21.März! .... :(

e.a.richter - 2011-03-22 18:45

Liebe Iris, ich lese zwei Schlüsselsätze: 1. "wir haben das licht gefangen durch nichts als unsere nichtigkeit"; 2. "weder dein sehen noch meines ist dem allen gewachsen". "Licht" - dieses Aprillicht - ist demnach etwas völlig Überwältigendes, etwas, das ungehindert eindringen kann, nicht erhellend erlebt, sondern als zerstörende Blendung. Im wörtlichen Sinn: Licht beleuchtet nicht, sondern wird als aufsplitternd, sogar zerschmetternd empfunden.

Jetzt ist es nicht so, daß ich auf den Frühling als Beginn des wirklichen Jahres warten würde. Was dessen Ablauf betrifft, hat sich mein Zeitempfinden geändert. Für mich sind nur die ersten zwei Monate neu, angenehm langsam; was dann folgt, ist zwar ersehnt, aber dann doch wiederum so schnell vorbei, daß das Gefühl des Mitgerissenwerdens nicht zu vermeiden ist. Jedes Jahr würde ich daher am 28. Februar zumindest eine kleine Weile anhalten.
Iris2002 - 2011-03-22 20:28

Anhalten

klingt gut - fast faustisch ;) - aber ein *bissi* später - vielleicht 2.Mai?? Das ist doch ein schönes Datum ;) und da hat sich auch schon frühlingsmäßig einiges getan - und das Zitronenbäumchen von einem anderen blog'bewohner' hier kann ungehindert draußen stehen - und meines wird dann auch schon draußen sein und seine 3 Minizitrönchen noch ein bisschen größer werden lassen, bevor sie andächtig geerntet werden...
Ja, und das alles lässt natürlich die gewaltigen 'Licht'-sätze völlig außer Acht - sie sind mir aber auch wirklich zu zerstörerisch - was steht dahinter, wenn man Licht als zerstörerisch empfindet? Doch nicht etwa Atomblitz-Assoziationen? Sonst fällt mir gar nichts ein, das diese Kategorie für Licht rechtfertigen würde... Bin schon wieder ratlos :(

e.a.richter - 2011-03-23 19:33

„Am Anfang war das ...“ – also alles Gute, schließlich Braune und Grüne, in dem nicht nur Zitronenbäumchen als Frühlingsvorboten gedeihen. Ich kenne die Gefühle von damals nicht mehr; aber die Sätze sind authentisch in dem Sinn, das sie meiner damaligen Poetologie entsprechen: der Atem beherrscht Leben, gibt den Rhythmus vor; scheinbar harte Brüche verschärfen den Sinn; auch eine senkrechte – unlateinische - Lesart soll mitbedacht werden.

PS: Wenn du mit „Licht“ gleich auch „Atomblitz-Assoziationen“ verbindest – warum nicht? Es gab in den 50er und 60er Jahren in allen Medien ästhetisierende Abbildungen von „Atompilzen“. Ich habe viele gesehen – warum sollen diese – und die während des Kalten Kriegs ständige Atomkriegsgefahr – damals, als ich das Gedicht geschrieben habe, nicht mitgeschwungen haben? Auch wenn ich jetzt das Wort „Atom“ lese oder höre, assoziiert es sich schnell mit „Blitz“ und mit „Bombe“.
e.a.richter - 2011-03-23 21:13

„Es gibt nur eine Möglichkeit, das Gleichgewicht im Alltagsleben zu bewahren und der Krise standzuhalten: an das grüne Gras zu glauben, wenn es vor unseren Augen aus der verbrannten Erde zu sprießen beginnt, und sich nicht verzweifelten Vorstellungen hinzugeben, solange nichts Ungewöhnliches geschieht.“ (Kenzaburo Oe, Hiroshima-Notizen)

(Dieses Zitat stammt aus dem Aufsatz „Hiroshima – Ein Gespräch über Bäume“ von Leopold Federmair.)

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