Montag, 30. Mai 2011

E-03 DAS ROTE BAND

Es ist ein Hängen, still in sich ruhend, straff, etwas zutiefst Hängendes,
und das über der Lampe: das Rote Band über der Lampe, ihrem dünnen
Arm (er läßt sich biegen), es stretcht. Die Uhr oben in der linken Ecke
des Monitors stretcht auch, sie rinnt, geräuschlos verschleudert sie Ziffern,
verschwindet zu Zeiten, wo niemand an ein Verschwinden gedacht hätte.

Verschwinden ist verschwunden – zwischendurch –, und das fällt nicht auf.
Die Schachtel mit dem Schlangenmuster getürmt auf die Schachtel
mit den wichtigen Dingen, Sticks, Speicherkarten, Schichten finsterer
lüsterner Geheimnisse. Von oben Licht, Licht von zwei Seiten, es wird
so beschrieben: von der Decke fällts auf die Wand in drei Schwüngen,

auch von rechts herab in Augenhöhe auf die Tastatur, ohne daß es blendet.
Blendung ist der Graue Star, der Rote, der Grüne. Kaum die Augen offen,
blendet der Traum schon wieder durch Vergessen. Hing etwa ein Band
mir tatsächlich zwischen den Augen, verband es geheim Ein- und Ausgänge,
gab es eine Hauteruption, sich sträubende Haare, hingen künftige Knochen

in der Luft, baute sich eine Kollision mit Erinnerungen auf, in denen es
Hintertreppenstürze nur so hagelte? Ich, unten am kalten Beton, flach,
wie vom Blitz getroffen, neben den Heizungsrippen, blieb liegen,
der ganze Körper weh, voller Striemen, Schrammen, Blutspuren, als wären
alle meine Geliebten über mich hergefallen, fleischwund, mich, den Ripper?

Zwischen den Rippen die Nerven, um die Schlüsselbeine verknäuelt,
als würden sie dort neue Organe ausbilden wollen – nur eine Phantasie
aus dem Roten Band, das auch in der Badewanne erweiternd funktioniert?
Um die Stirn so, daß schräg hinunter, hin zum Wellenschlag, die Sicht
noch möglich ist, auch das Atmen, voll die Sicht auf die Selbstbefleckung,

auch Selbstentdeckung, Selbstversicherung. Und auch so, daß die Beine,
gesträubten Haare zumindest die Illusion einer Selbstbefreiung beinhalten,
von selbst getragen von der bettartigen Dampfformation, leicht gebettet
also auf diese Wolke, um von dort wiederum auf jenes Band zu schnellen,
rechts die Schlangenschachtel, links die hölzerne, die voller Geheimnisse.

Der Chor im Hintergrund so dicht, als wäre die ganze Familie angetreten,
um auf das Rote Band zu hüpfen mit mir, mirs zu entwinden im Training,
um selbst zu hüpfen, Chor aus lauter selbstverlieben Helden, schon toten,
sogleich zu unglaublichen Geständnissen bereit: Wir verurteilen, verachten
die Wiederholung, wiederholen die Verurteilung! Wir loben das lebendige

Rote Band, dessen Mitteilung – daß es nun nicht mehr hängt, nicht
mehr umschlingt, nicht schlingert und schlenkert, niemanden der Muskel
beraubt, der nächtlichen Denkkraft, deren schreiender Ergebnisse; daß es
eine zweite Haut sein wird, immer dünner, dünner als ein Hauch,
doch Membran, Lichtloch, Lichtmembran, die mit Lebenswut begeistert

(17.5.2011, 3.03 Uhr)

(Blick ins Nebenzimmer: Campo di urne 02)

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