0065 DETONATION UND IDYLLE
materie: antimaterie: konglomerat: unmischbar: urmasse: urknall: urkomisch: auseinander: urgeschwindigkeit: uhrenlos: daß keine zeit war; daß keine zeit zur vernichtung war; es hätte ein gleichgewicht geherrscht. detonation und idylle. es ist ein kleiner grüner zettel, tageskarte nummer soundso, diese karte berechtigt usw. zur benützung der lesesäle usw. mit schiefem blauviolettem stempel ÖNB 5. FEB. 1970. idylle mit detonation, der student muß seinen rosa führerschein herzeigen, der mann am schalter telefoniert, in dem kissen sitzt ein mädchen, wo gesehen, durch die scheiben eines großen autohauses, vermutlich, erstaunt gesehen, unwillen, vermutlich, bei der begleiterin hervorrufemd, mit der klotür im aug, dem männchen an der klotür, den gespreizten beinen darauf, gesehen im linken augenwinkel, der mann telefoniert, daß der schaumgummi oder was sonst schon so vielen gesäßen nachgeben mußte, daß nichts zurückblieb, keine der mehr oder weniger häßlichen formen, daß es keine gesäßphysiognomie gebe, daß yoko onos film das einzige auf diesem gebiet sei, beim derzeitigen informationsstand, daß es einfach ist, hier mehrmals vorbeizugehen, nicht einfach aber, sich gegenüber hinzusetzen, hineinzugehn in dieses rondeau aus schaumgummioderwassonstbänken, und das körpergewicht einfach sprechen lassen, das alles, während der student die eine hand unter den händetrockner hält, diesmal ohne seife gewaschen, diesmal keine tasche recht hoch oben, auf der fensterbank keine halboffene tasche, diesmal: idylle
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am telefon gesagt: einen brief geschrieben: einen brief geschrieben. den brief zur post gebracht, mit der absicht, den brief zur post zu bringen, aufgewacht, diese absicht vergessen, was alles vergessen, die lage dieses postamts, aller postämter. an wen der brief adressiert, welcher inhalt in welcher form. am telefon beschwingt gewesen, hörreize wahrgenommen, ansätze von konketterie, von verzweiflung keine spur, warum auch verzweifelt, sagte der student, alleinsein tut gut, anrufe briefe eine ungewohnte stille, zeitungen planungen ängste, eine ungewohnte stille, uhrenlos. den führerschein mit dem zettel in der linken inneren brusttasche, am rondeau vorbei, da erscheint plötzlich der makellose teint, während der student blättert, der braune punkt, blättert, auf der rechten wange, blättert, die makellosen, blättert, löckchen, lippen, ein ganzer stoß zeitungen, blättert, es ist eine beinahe verzweifelte suche, einen beinahe aussichtslose, blättert, dann das inhaltsverzeichnis am schlußblatt, blättert, immer unter dem stichwort drama, im gehorsamen bewußtsein nur dieses eine wort, blättert, das aber dann tatsächlich nirgendwo aufscheint, blättert, auch unter den scheuen seitenblicken auf die bereits gehenden, auf den fast völlig leeren saal: plötzlich hatte eine weibliche stimme schluß! geflüstert und eine männliche gleich darauf brüllend schluß! respondiert, detonation, langsamst
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der kalte regen war auf das fenster geprasselt, prasselt noch immer, der scheibenwischer schafft es nicht, die gefährlichkeit solchen fahrens auch bei niedrigem tempo. wie oft schon erwähnt, geflissentlich eingeflochten, man sei erstaunt über die unvorhergesehenen bewußtseinsschwünde, man habe zum beispiel sehr wohl das herankommen eines fahrzeugs wahrnehmen können, nicht aber das vorbeifahren, und man habe dann vielleicht noch im rück-spiegel etwas entschwindend winziges erblickt, und dann plötzlich die frage: wo war ich während des vorbeifahrens, ist wirklich etwas vorbeigefahren, ich träume, ich habe tatsächlich geträumt. der rechte scheibenwischer müßte mit dem linken vertauscht werden, der rechte wischt besser, als fahrer braucht man links die bessere sicht. der film, den ich drehen werde, sagt der student, wird die ganze strecke umfassen, und zwar je eine hinfahrt im winter, eine rückfahrt im frühjahr usw. der film, den ich drehe, sagt der student, die kamera läuft, jeder frostaufbruch wird indirekt sichtbar sein, die zuständigen behörden werden sich nicht mehr verleugnen lassen können von untergeordneten beamten. plötzlich wird strom in die städtischen uhren fahren, und: detonation
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ÖNB 5. FEB. 1970, materie antimaterie, ein gespräch will nicht zustande kommen. rekon-struierend: konglomerat: unmischbar: urmasse: urknall: urkomisch: auseinander. bei solchen entfernungen könne man sich kein urteil erlauben, nach so langer zeit sei alles inzwischen erfahrene, wahrscheinlich auch die erfahrensweisen, höchst verschieden. verblüfft aber doch über den gleichbleibenden stil, über die deckungsgleichheit vieler eindrücke jetzt und vor jahren. über ihr komplexes erinnerungsempfinden, was der student immer mit weiblichkeit identifizierte, über ihr komplexes leidevermögen, ihr ausharren im ungewohnten, für sie fast unerträglichen, über ihr ständiges denken an fluchtversuche, ihr gleichbleibendes wissen um die sinnlosigkeit, das eigentliche bleibe unverändert, daß man sich nicht einfach um sich herumstellen kann als einen umstand unter anderen umständen
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die idylle sei ihr schon zuwider. der blick sei zwar anders, und die straße falle jetzt anders, was dort selten sei. straße, gehsteig, jänner, geparkte autos, fensterreihen, jänner, gewölbt verschnörkeltes haustor, wirtshaus, pelzgeschäft, jänner, der himmel nur ein streif. rekonstruierend: da habe der student, mit dem schlaf von zwei nächten aus dem norden kommend, nachdem man durch den zoo mehr gestolpert als gegangen war, durch die befremdliche stadt mehr gestolpert, in die busse straßenbahnen hinein hinaus, und die mühe, die augen offen-zuhalten, voller angst, wieder etwas liegen zu lassen, zum beispiel den fotoapparat, den ihn ein friedlicher mann mit der warnung vor weniger friedlichen, die hier in mengen gebe, überreicht, noch die kreuzungen, das überraschende umwerfende komische einer solchen hypertrophie, die kreuzung zwischen zebra und araberhengst vor sich, seinen fünften fuß, seinen penis vor augen, er habe sich also plötzlich auf einem zeitungspapier, die welt, unter einer baumkrone an einem baumstamm befunden und sei beinahe geschlafen hier am frühen nachmittag, mit dem nachgiebigen sand der wege auf den schuhen, aber mit einer unerklärlichen angst sich wieder aufgerafft, sei weitergestolpert über nachgiebige wege nach rechts und nach links, an einzelpersonen, gruppen, grüppchen vorbei, er sei schließlich allein, allein! einem zaun gegenübergestanden aus feinmaschigem draht, mit einem riesenverbotsschild darauf: ...verboten...20.000...strafe...verboten, und das schild fixierend sei er dagegen angerannt, was dahinter war in den augenwinkeln, eine riesige anlage, etwas sich drehendes, in einem hohen ton pfeifendes, jedenfalls eine beinahe unerträglicher anblick, dem er allein ausgesetzt gewesen sei. rekonstruierend: er habe die befehle an die beine nicht mehr zurückhalten können, und: detonation
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was verdächtig an einem solchen konglomerat sei. immer unter dem stichwort drama, möglicherweise auch unter theater und drama. daß keine zeit zur vernichtung gewesen war, ein gotteswahnsinn. das inselhafte der stadt, daß man manchmal nicht atmen könne. ein solch offener himmel, ein solch reiner flugzeughimmel, eine solche verletzbarkeit des luftraums, der versorgungs- und atemwege. eine solche hitze in den lesesälen, das heizsystem scheint nur grob regulierbar zu sein, die antwort auf hohe außentemperatur scheint nur hohe innentemperatur sein zu müssen, unwille, überdruß in allen erhitzten köpfen. der student steht vor dem schalter, der mann telefoniert, in den schaumgummiodersonstwasbänken läßt sich gut suhlen. sich hinlegen, mit der erstbesten studentin liebe machen. oder doch auf teint, haartracht, körpergeruch achten, der händetrockner beginnt zu tuckern, aus dem spiegel blickt ein viel dünkleres gesicht. liebe machen, uhrenlose, das trächtige der bücherstapel demonstrieren, wie obszön bibliotheksatmosphäre ist. ich hätte ihm ins gesicht schlagen können, sagt der student, ein solches geschwätz, während mich die nadeln stechen, das neue leibchen, während mir der name beinahe entfällt, einen augenblick lang mühsamst herbeigeschafft werden muß, buchstabenpuzzle, und dann immerhin die entdeckung des indexes auf der rückseite, immerhin beschleunigte möglichkeit der suche, immerhin bewegung, und: detonation
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was yoko ono tut, wenn sie allein mit yoko ono ist. was winckelmann tut, wenn er allein mit winckelmann ist. was doktor straka tut, wenn er allein mit doktor straka ist. was die pickelige sekretärin tut, wenn sie allein mit der pickeligen sekretärin ist. was der dicke mit dem lederkoffer tut, wenn er allein mit dem dicken mit dem lederkoffer ist. was die 1d tut, wenn sie allein mit der 1d ist. was der schulwart tut, wenn er allein mit dem schulwart ist. was die musikpädagogin tut, wenn sie allein mit der musikpädagogin ist. was diejenige, die den brief geschrieben hat, tut, wenn sie allein mit derjenigen ist, die den brief geschrieben hat. was der student tut, wenn er allein mit dem studenten ist – idylle? plötzlich ungewohnte stille, die balance haltend zwischen überdruß und aktivitätsdrang. die einzelnen zimmer plötzlich gestopft voll mit leere, mit horchen, nachhall, knacken, knistern, finsternis. furcht, die türen zu schließen, die letzte tür verschlossen, sicherheitsmaßnahmen gegen sich selbst, gegen seine eigene vervielfältigung. trotzdem zieht es, wie das blatt, das in der aufsteigenden luft flattert, beweist. zumindest eine luftbewegung, eine weitere botschaft. das unerledigte, die hypertrophen gespräche am boden nachschleifend, keine zeit zur vernichtung, ein unausdenkbarer gedanke. auf diesem stuhl läßt sich gut denken, sagt der student, dieser stuhl ist drehbar, in der höhe verstellbar, auf diesem stuhl, kein schöner, doch praktischer, nicht unbedingt der beste, mit kunststoffüberzug, läßt sich schon einiges vorbereiten, da steht ein tisch davor, da läßt sich schon einiges ausbreiten, von diesem stuhl aus läßt sich das auf diesem tisch ausgebreitete einigermaßen überblicken, an der oberfläche zumindest. der student dreht sich um, und: detonation
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rekonstruierend: daß der artikel das gespräch hervorgerufen habe, daß das gespräch aber gar nicht stattfand. daß das gespräch über hypothesen hypothetisch stattfand. daß der artikel zu rekonstruieren sei, wo er gedruckt stehe, wo vor dem 5. FEB. 1970. jetzt, wo man weiß, daß keine zeit zur vernichtung war, kann das nicht schwer sein. diese karte berechtigt usw. zur benützung der lesesäle usw. und: detonation
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einfach hindurchgestolpert, sie schreibt, die zeit in unzählige kleine stücke zerhackt, sie schreibt, immer an das nächste geklammert, mitgezogen voller sinnloser abwehr, sie schreibt, widerwillig, trotzdem willenlos, sie schreibt, abwechselnd stumpf ergeben und schrill nervös. der student dreht sich, sein erinnerung versagt. es ist ein kleiner grüner zettel, und was drauf steht, schlagwörter, die etwas evozieren sollen. das blatt hält sich unheimlich still. und: detonation
(21.2.1970)
(Blick ins Nebenzimmer: Essere etrusco 22)
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