E-01 SCHATTENBLITZ

vorhin dieses Foto des jungen Kafka, schön schwarz-weiß und
ganz zufällig, wie auch immer ein solcher Zufall zu werten ist,
der sich innerhalb eines unkalkulierbaren Gespinsts ereignet,
so auch wie jetzt wo ich – im Rahmen einer Absicht – auf
ein Gedicht stieß, dessen Äußerlichkeit – als Buchstabenpaket –
schon eine eigentümliche Verschlossenheit transportiert, die mir –
im Augenblick – nur den Zugang zu einzelnen Wörtern erlaubt,
Denken, Vogel, Luft, Schatten, mich – als allererstes –
mit Schattenblitz verquickt, einer Worterfindung/Wortfindung,
die mich auf mich selbst zurückverweist, andererseits – und das ist
vielleicht der Sinn – ganz mit dem allgemeinen Lebenserhaltenden,
das mir und allen anderen um mich herum derzeit zur Verfügung
steht, Luft, wozu ein Satz von gestern wieder auftaucht: nicht
das Herz, sondern die Lunge sei das wichtigste Organ, was ein
üblicherweise Vergessenes ist, auch von Ärzten, und – wieder
von gestern – Vogel, eine Schar Vögel am Spätnachmittagshimmel,
ein Rudel, Pulk, Zug in Formation, Krähen – Saatkrähen, Nebel-
oder Rabenkrähen – auf dem Weg zum Nachtquartier, ehe die
Sonne untergehen wird (so die gesprochene Zeile), hinter
dem Dachhorizont, der Rauchfangbatterie, unter einer
voraussichtlich – im Vergleich zu mexikanischen Sonnen-
untergängen – bizarren Wolkenformation und entsprechend
barocken Lichtstrahlenblenden, derzeit – an einem ganz
anderen Ort – ersetzt durch gleichmäßig durchwachsene
Dunkelheiten, aus denen heraus sich noch unbelaubte Zweige
ins Blickfeld schieben, womit ich leicht schließen kann, nicht
mit dem Wort Wüste, das kein Fundament für mich darstellt,
keinen Ort der Sehnsucht, keinen aus Träumen, kein Traum-
führungsziel, keine Instanz zum Wagnis von Unsichtbarkeit

(Montag, 4.4.2011, 19.58 Uhr)

(Siehe dazu das Gedicht von Daniela Danz bei Aléa Torik.)

(Blick ins Nebenzimmer: Essere etrusco 14)
Sturznest - 2011-05-13 14:40

Na dann, versuchen wir mal ohne Herz zu leben Herr Dichter

Sturznest - 2011-05-13 14:42

Wie angenehm das übrigens ist, sie über Gedichte schreiben zu lesen, da gibt es kein "das ist so" sondern ein, "das empfinde ich so"
e.a.richter - 2011-05-13 16:21

Soeben schrieb ich, lieber H., angeregt von A.T., "Tresor". Nicht "über", sondern "zu". Und dort hinterließ ich den apodiktischen Satz: "Bei jeder Niederschrift eines Gedichts entscheidet sich von neuem, was als "erste Instanz" anerkannt werden soll." Daher hat dieses Projekt auch den Titel: "Erste Instanz" gekriegt. (Unausgesprochener Untertitel: "absichtslos".)

Sturznest - 2011-05-13 16:24

was für ein foto von kafka meinen sie denn dort droben
e.a.richter - 2011-05-13 23:25

Dieses:

Sturznest - 2011-05-14 09:06

Oh ja, das ist er, der Kerl, das stehle ich ihnen das Bild und mach eine sorgenvollen Text daraus..Ein sorgenvoller Text über die Belanglosigkeit von Texten, denn was kann man schon sagen, man kann ja nichts mehr sagen, höchstens noch über die Paarung mögen wir schreiben, alles andere ist nicht mehr unsere Sache
e.a.richter - 2011-05-14 10:33

Gleich beim Aufwachen paaren sich so viele Dinge, daß nichts mehr "belanglos" sein kann. ;-)
Weberin - 2011-05-13 18:46

Statt Wüste

"ersetzt durch gleichmäßig durchwachsene
Dunkelheiten, aus denen heraus sich noch unbelaubte Zweige
ins Blickfeld schieben, womit ich leicht schließen kann"
Und nur auf den ersten Blick ist es ein Gegensatz zu Daniela Danz Schlusspunkt, denn so wie ich sie verstehe, geht es Ihnen beiden um diesen Schritt, etwas Unmögliches beim Namen zu nennen.

Sturznest - 2011-05-14 11:21

was wäre denn unmöglich....es gibt zwei grossmans die ausschwitz beschreiben, das ist das unmögliche, alles andere gehört einem meinethalben selbst, meinetwegen mag es auch tiefe haben, aber was isttiefer als der abgrund, warum schreiben wir nicht über die wirklich tiefen abgründe, die wir doch fühlen müssen, selbst wenn die orte dafür stiller gewordener sind alsfriedhöfe, ausschwitz, srebrencia...
Weberin - 2011-05-15 12:34

dieser Stille einen Namen zu geben

Unmöglich ist (für mich) das zu benennen, dieses Grauen, mehr dazu zu sagen als diese ausgelutschten Floskeln, etwas zu sagen, was es immer wieder lebendig macht, was jeden einzelnen spüren lässt es geht ihn an, weil er Opfer ist und Täter.
Sturznest - 2011-05-15 13:15

Ich habe sehr kuriose und liebe Erfahrungen während des Krieges in Bosnien gemacht, einmal besuchten Wir (zwei andere und ich) ein Flüchtlingsheim in Zenica, die anderen brachten medzinische Sachen weg und ich saß in einem Büro, der Direktor war da, seine Sekräterin.
Sie hatte mir vorher erzählt dass ihre Eltern in Doboy als Muslime interniert werden, sie dürfen von acht uhr morgens bis zwölf raus.
Aber schließlich packte sie einen Recorder aus, holte eine Cassette, der Direktor kam mit drei Flaschen Bier, Musik kam aus dem Recorder und die Beiden tanzten, das war derart absurd, und lieb, dass es eben auch kaum zu beschreiben war und trotzdem kann man es versuchen
Weberin - 2011-05-15 15:10

Ich glaube, man muss es sogar. Man muss es immer wieder versuchen. Nach jedem Scheitern von Neuem.

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