O-08 HAARE

Haare, die schon immer da waren,
irgendwo am Körper, auch
auf der Kopfhaut, Kopfhaare –
wehendes Unglück des Jungen,
der keine Frisur zusammenbringt,
auch keinen Kopf, der entrückt.

Es ist immer ein anderer,
mit einem falschen Kopf.
Der richtige wär nicht haarformbedürftig,
sondern kahl, ein Vorbeigehender,
dessen Schädel aus jedem Blickwinkel
leuchtet, distanzierend, fast heilig,
bereit für jeden Nachtraum.

Haare – Fäden, Gleitmittel,
in den persönlichen Himmel,
alterslose, sich unbefragt erneuernde
Begleiter. Kein Blut in ihnen,
keine wahrnehmbaren Wurzeln -
parallele, genau berechnete Auswüchse
aus dem weiterhin unsichtbaren Hirn

(Mittwoch, 27.06.2001, 9.30)

(Erschienen in: Obachter, Edition Korrespondenzen, 2007)

(Blick ins Nebenzimmer: Essere etrusco 19)
Weberin - 2011-05-18 13:23

"parallele, genau berechnete Auswüchse
aus dem weiterhin unsichtbaren Hirn"
das ist ein sehr interessanter Blick auf die Haare. Die ja ohnehin sehr faszinierend sind, all diese Geschichten, die sich darum ranken, Samson und Delilah z.B, oder auch Rapunzel. Und eine ganz persönliche, die meine Mutter mir immer wieder erzählt hat, von den vollen dicken Haaren ihres Vaters, an denen sie sich festhält, während sie auf seinen Füßen stehend, von ihm hier- und dorthin getragen wurde. Und wie sie Angst hatte, diese Haare könnten eingeklemmt werden, als man den Sargdeckel schloss.

BUCH BLOG - 2011-05-18 16:58

Bei Amazon gibt es zu OBACHTER 2Rezensionen. Zitat aus dervon Zoe Mann :

"Ich habe noch nie ein Gedicht über Haare gelesen. In "Obachter" von E. A. Richter gibt es ein solches, gleich am Anfang. Ich habe irgendwo gelesen, dass Fischottern 50.000 Haare pro Quadratzentimeter haben. Daran musste ich denken.

Aber auch an mich, weil ich relativ dichtes Haar hatte; als Brünette, jedenfalls bis zum 30. Lebensjahr. Jetzt (noch nicht einmal 40) abe ich den Eindruck, der Haaransatz hat sich zumindest leicht gelichtet! Daher bin ich auf "Haare" gleich angesprungen.

Beim Autor habe ich den Eindruck, dass ihn, wie wohl die meisten Männer, das Thema Glatze beschäftigt. Denn der richtige Kopf wäre nicht "haarformbedürftig'", sondern "kahl".

Andererseits erscheinen ihm Haare wie "Leitfäden, Gleitmittel,/in den persönlichen Himmel;/alterslose, sich unbefragt erneuernde/Beschützer".' Genau das fürchte ich, nämlich dass sich diese mehr und mehr verlieren. Damit verliere ich auch die Weiblichkeit, die bisher jedem ins Auge gestochen ist..."

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