Montag, 21. Januar 2013

DB-65 (24) (Stefan entzieht sich einer Fortsetzung)

Stefan entzieht sich einer Fortsetzung dieser tätigen Anteilnahme, indem er sich aufs Klo begibt. Er kommt als Räuber aus einem anderen Land. Wie ein Barbar bricht er in ein lang fixiertes Beziehungsgehege ein.

Deshalb bereitet er sich auf eine Verzichtserklärung vor. Doch als er vor Julia tritt, ist sie mit einem kurzen Lokalbesuch einverstanden. Also schließt sich ihr Stefan widerstandslos an.

Draußen ist es naßkalt. Ein Wind macht sie beide sofort frösteln. Ohne ein Wort zu sagen, durchqueren sie das finstere, kotige Feld auf der Anhöhe vorm S-Bahnhof.

Stefan schiebt seine bloße Hand unter ihren linken Arm, versenkt sie in ihrer Manteltasche. Ich bin müd, sagt Julia, als sie wieder festen Boden unter den Füßen haben, von der Silvesternacht. Sie habe kein Auge zugetan, über die Stränge geschlagen, den gestrigen Tag nicht genossen, sondern nur an den Folgen des Feierns gelitten, wobei alles so furchtbar harmlos gewesen sei, nur im Kreis von ein paar Freundinnen und Bekannten, nachdem man die Kinder auf die zwei Zimmer verteilt habe.

Da das Café Adlergestell schon zu ist, bleibt ihnen nur die Gastwirtschaft daneben, wo ihnen sofort die brütende Hitze der vielen Männer entgegenschlägt, die Julia gierig mustern, ohne von Stefan Notiz zu nehmen, weshalb sie ihren Mantel anläßt.

Eine Räuberhöhle, in der sich jetzt alle in acht nehmen, damit kein verräterisches Wort über die Lippen kommt, sodaß eine eigentümliche Stille eintritt, obwohl die Gespräche weitergehen, aber mechanisch, so als würden die Anwesenden immer dieselben Wörter und Satzfetzen wiederholen, um zugleich mit beiden Ohren zu lauschen, was ihnen das geheimnisvolle Paar an Sensationen zu bieten hat.

Stefan blickt Julia betreten an. Er fühlt, wie sein Mund trocken wird. Er hätte gleich wieder umdrehen, sich nicht in die Mitte dieser unheilvollen Sippschaft wagen sollen.

Jetzt bleibt ihm nur, sie mit halb geschlossenen Augen, wie einer der raffinierten Trapper in den Abenteuerbüchern, zu beobachten, ohne selbst am verräterischen Blinken entdeckt zu werden. Er könnte allerdings auch seinen Mageninhalt hinausrülpsen und so ihren maßlosen Ekel bewirken, der ihnen zur heillosen Flucht verhilft. Er könnte vor die Tür treten, wie ein Rattenfänger mit Geldscheinen winkend, dann das Büschel Banknoten auf die Straße werfen und blitzschnell hinter dem sich zuletzt Bückenden die Tür verschließen.

Julia knöpft ihren Mantel doch auf, zieht ihn ein wenig auseinander, mit der Unachtsamkeit einer gar nicht richtig Anwesenden. Wäre sie nur beiläufig mitgegangen, weil sie keinen Kampf mehr, auch nur ansatzweise, gewollt hat, vielleicht auch mit einer kleinen, unbedeutenden Neugierde, wäre nichts erreicht für Stefan, wäre er jetzt schon der Verlierer.

Sie wartet auf seine Eröffnung. Für ihn gibt es jedoch nichts zu eröffnen, was nicht sowieso einleuchtend bekannt wäre, auch wenn es nicht oft genug gesagt werden kann. Die Liebe ist verschwunden in dem Moment, wo sie aufgetaucht ist, und der Liebesprotz ist ein Angeber, der sich in die eigene Tasche lügt.

(Die Berliner Entscheidung, Residenz Verlag, 1984)

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„...Dies ist der Versuch eines komprimierten Familienromans, zugleich ein Reisebericht, der an einen Ort führt, wo die Kriegsschäden an den Menschen und deren Behausungen noch unverhüllt sichtbar sind. Lena und Stefan, von den gegensätzlichen Seiten der Geschichte kommend, unternehmen, sich zwischen Überlebenden und deren Nachkommen bewegend, einen Versöhnungsversuch...“ (Klappentext)

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